PETER HÜBNER
Klassischer Komponist • Musikwissenschaftler
DER MIKROKOSMOS DER MUSIK
CLASSIC-Life: Herr Hübner, es gibt eine Gruppe von 20 Werken, die so genannten Meditativen Aphorismen, die einen besonderen Einblick in den Mikrokosmos der Musik geben sollen wenn ich das richtig verstehe. Da benennen Sie auch verschiedene Sphären.
Können Sie hierzu etwas sagen?
PETER HÜBNER: Die Werke geben vor allem einen Einblick in die tonalen Verwandtschaftsverhältnisse innerhalb des Mikrokosmos der Musik. Wir können hieraus viel lernen.
Das, was wir hier in unserem menschlichen Alltag kennen, die verschiedenen Generationen Urgroßeltern, Großeltern, Eltern, Kinder, Enkelkinder usw. nach beiden Seiten finden wir auch im Mikrokosmos der Musik vor.
Nur, daß im Mikrokosmos der Musik immer eine Generation das Sagen hat und die anderen Generationen je weiter sie von dieser Generation entfernt sind immer weniger zu sagen haben, bzw. immer leiser in Erscheinung treten. Beim Beispiel des Tones mit seinen Obertönen sehen wir das Entsprechende: die vom Grundton weiter entfernten so genannten Obertöne erscheinen immer leiser.
Im menschlichen Leben gibt es allerorten Generationsprobleme. Je mehr die Generationen auseinanderklaffen, um so größer treten diese Probleme in Erscheinung um so schwieriger scheint es zu sein, miteinander auszukommen.
Wer hat Recht? stellt sich immer die Frage. Und jede Generation behauptet von sich, daß sie Recht habe. Die Älteren behaupten dann noch, daß sie wegen des höheren Alters mehr Erfahrung besitzen und daß sie doch wohl deshalb Recht haben müßten. Und die Jüngeren erwidern, daß sie selbst mehr ursprüngliche Kreativität besitzen und daß sie deshalb genauso ein Anrecht hätten, Recht zu haben.
Diese Auseinandersetzungen kennen wir alle, und unser Instinkt sagt uns: das muß wohl so sein, und es war wohl auch schon immer so und wird auch immer so sein.
Der Mikrokosmos der Musik klärt uns hier gründlich auf: das Generations-Problem entsteht, wenn die natürliche harmonische Ordnung zwischen den Generationen nicht eingehalten wird.
Dabei unterscheidet der Mikrokosmos der Musik wohl zwischen den Generationen aber er sagt nicht pauschal, daß die Älteren in der Hierarchie höher stehen müssen als die Jüngeren.
Vom Mikrokosmos der Musik aus gesehen, können die Älteren genauso gut gegenüber den Jüngeren das Sagen haben wie die Jüngeren gegenüber den Älteren, nur: es können nicht beide gleichermaßen das Sagen haben.
Der Mikrokosmos der Musik unterscheidet wohl zwischen Vergangenheit und Zukunft, aber von der Gegenwart aus gesehen sind beide gleich bedeutungsvoll.
Vom Mikrokosmos der Musik aus gesehen bewegt sich die Evolution nicht grundsätzlich nur von der Vergangenheit über die Gegenwart zur Zukunft, sondern genausogut von der Zukunft über die Gegenwart in die Vergangenheit.
Insofern ist vom Mikrokosmos aus gesehen der Großvater nicht pauschal der Ältere und das Enkelkind der Jüngere, sondern dies sind beides nur Sichtweisen dessen, der aus seiner vermeintlichen Gegenwart nach vorne bzw. nach hinten blickt. Blickt er zurück, meint er den Großvater zu sehen, und blickt er nach vorne, so meint er das Enkelkind zu sehen.
Dreht sich nun der Betrachter aber um, dann meint er nun wiederum hinten den Großvater zu sehen, den er vorher für das Enkelkind hielt, und vor sich das Enkelkind, welches er vorher für den Großvater ansah.
Wir denken immer, alle Entwicklung laufe nur von der Vergangenheit in die Zukunft.
Der Mikrokosmos der Musik lehrt uns, daß dies ein einseitiges Vorurteil ist und aus der Sicht bzw. dem Standpunkt des Betrachters resultiert. Die Wirklichkeit kann aber auch umgekehrt sein.
Was entnehmen wir daraus? Möglicherweise ist das Enkelkind durchaus der Großvater und kann so also genauso behaupten wie bisher nur dieser, es sei älter und habe deshalb Recht.
Augenscheinlich gibt es für alle Menschen unserer Zeit hier aber keinen Zweifel: der Großvater ist älter, dies sagt schon der Paß, und das Enkelkind ist jünger und es hat deshalb ja auch noch gar keinen Paß.
Für die meisten reichen solche Beweise aus. Aber sie helfen ganz offensichtlich nicht, das Leben zwischen Großvater und Enkelkind zu erleichtern und das Generationsproblem aus der Welt zu schaffen.
Es gibt Enkelkinder, die hören auf ihre Großeltern und sind damit glücklich, und es gibt Großeltern, die hören auf ihre Enkelkinder und sind damit auch glücklich. Es muß nur einer überwiegend auf den anderen hören, damit beide glücklich sind. Dies lehrt uns auch der Mikrokosmos der Musik.
Warum hole ich hier so lange aus mit Erklärungen?
Die natürlichen Probleme der Generationen durchziehen den Alltag unserer Welt. Und die Gründe hierfür liegen in der Existenz von Raum und Zeit verborgen und nicht etwa in der Kompetenz der Menschen so lehrt uns der Mikrokosmos der Musik.
Aber ein harmonisches Miteinander läßt sich erlernen, und es betrifft den natürlichen intelligenten Umgang mit Raum und Zeit in unserem Denken.
Der Schlüssel zur Harmonie zwischen den Menschen liegt also im Bewußtsein des einzelnen Menschen gegründet: in dessen Fähigkeit, mit Raum und Zeit natürlich umzugehen: natürliche Raum-Zeit-Ordnungen zu beachten und zu achten und keinesfalls zu ignorieren.
Dies lehrt uns der Mikrokosmos der Musik und daheraus ergibt sich auch die Offenbarung bzw. Erkenntnis der Harmoniegesetze des Mikrokosmos der Musik.
In jenen Meditativen Aphorismen unter dem allgemeinen Titel Einblick in den Mikrokosmos der Musik habe ich jene Raum-Zeit-Verschiebungen und damit die Generationsproblematik in einer systematischen Anordnung vorgestellt und als ein natürliches Phänomen der Schöpfung aufgezeigt.
Die Sphäre 1 stellt jeweils nur die natürliche Raum-Zeit-Ordnung einer Generation vor und man hört ganz einfach, daß es hier keine Schwierigkeiten bzw. keine Disharmonie oder Dissonanz gibt.
In der Sphäre 2 haben wir 2 benachbarte Generationen vor uns, also beispielsweise Eltern und Kinder, bzw. Großeltern und Eltern. Auch hier sind die tonalen Schwierigkeiten gering.
In der Sphäre 3 werden 3 Generationen unter dem Dach eines Aphorismus vorgestellt, und auch hier erscheinen die Schwierigkeiten noch relativ gering.
In der Sphäre 4 finden wir vier Generationen in dem Hause eines Aphorismus versammelt, in der Sphäre 5 fünf Generationen, in der Sphäre 6 entsprechend sechs Generationen und in der Sphäre 7 sieben Generationen.
Und in der Sphäre 7 mit sieben Generationen unter dem Dach eines Aphorismus werden wir dann auch schon sehr an die Klänge der atonalen Musik der Avantgarde erinnert während die Sphäre 1 uns an schlichte Klassik erinnerte. Die anderen Sphären liegen entsprechend dazwischen, teils näher an der Volksmusik und teils näher an der Musik der sogenannten Neutöner.
Diese Aphorismen verdeutlichen allesamt nur Raum-Zeit-Gesetzmäßigkeiten der Harmonie, die wir im Mikrokosmos der Musik vorfinden.
Deshalb habe ich in diesen speziellen Kompositionen allen Generationen das gleiche Stimmrecht zugesprochen wie man dies ja in der Demokratie anstrebt. Aber es zeigt sich, daß diese Art Gleichheits-Demokratie kein natürliches Phänomen ist und nicht harmonisch funktioniert, wenn sie nicht in die Struktur der natürlichen hierarchischen Ordnung eingereiht wird.
Es ging mir also in diesen Meditativen Aphorismen in ganz unterschiedlichen Orchesterbesetzungen darum, das Phänomen der Raum-Zeit-Verschiebung als solches vorzustellen und zu zeigen, daß Raum und Zeit in der natürlichen Harmonie eine große Rolle spielen: daß sie die natürliche Harmonie entwickeln, erhalten aber auch zerstören können und entsprechend: das Empfinden von natürlicher Harmonie.
Was können wir daraus lernen?
In diesen Aphorismen können wir erst einmal die Störung natürlicher Harmonie durch Raum-Zeit-Verschiebungen kennenlernen, also die natürliche Grundlage aller Probleme, auf die wir heute im zwischenmenschlichen Bereich stoßen.
Das Hören offenbart uns, daß die tonalen Abweichungen bzw. Dissonanzen zwischen benachbarten Generationen nur gering sind und mit weiteren Generationen größer werden.
Es gibt immer tonale Verbindungspunkte zwischen den Generationen. Die benachbarten Generationen haben mehr tonale Verbindungen die entfernten weniger. Aus diesem Einblick in den Mikrokosmos der Musik und die natürlichen verwandtschaftlichen Beziehungen erwächst dann schließlich auch der ganze Bereich Musik und Bildung.
Diese Meditativen Aphorismen offenbaren einen archaischen Umgang mit dem Phänomen Harmonik wie ja auch die Zen-Sinfonien und -Hymnen sowie die Sinfonien und Hymnen des Großen Stromes.
Die Kunst des Weiblichen, die Hymnen der Dome, die Violin-Konzerte, die Klavier-Konzerte, die Metamorphosen usw. zeigen die Lösung der europäischen Klassiker beim Umgang mit dem Phänomen der natürlichen Harmonie man möchte hier meinen, einen mehr akademischen Umgang mit der Raum-Zeit-Verschiebung im Unterschied zum archaischen Umgang, wie wir ihn aber genauso in den Harmoniegesetzen des Mikrokosmos der Musik vorfinden.
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